Samstag, 25. Mai 2013

Interview mit Bruni

Natürlich habe ich mit Gedanken gemacht, wie Brunis Geschichte wohl weitergeht. Da sie nicht so ohne weiteres damit herausrücken wollte, habe ich ein Interview mit ihr geführt, das zumindest schon mal grob eine mögliche Richtung angibt.

Das Interview habe ich mit Bruni geführt, als sie 18 wird.

Autorin:
Liebe Bruni, magst du mir berichten, was aus euch in der Stadt geworden ist?

Bruni, leicht feindselig:
Nennen Sie mich Brunhilde. Ich bin kein Kind mehr!

Autorin:
Also gut, Brunhilde.
Wie ist es euch damals ergangen?

Bruni:
Naja, das gab natürlich Schwierigkeiten.
Sie zögert.
Wir sind erst mal bei Tante Lillian gelandet. Sie können sich nicht vorstellen, wie das war. Tante Lillian hat fast `nen Rappel gekriegt.

Autorin:
Wie haben deine Eltern sich angepasst?

Brunis Gesicht verdüstert sich.
Naja, beide haben ja immer nur auf dem Hof gearbeitet. Für diese Zeit hier waren sie ungelernte Hilfskräfte. Sehr ungelernte. Und noch dazu zu alt. Ich meine, meine Eltern waren zwar noch nicht wirklich alt, aber sie sahen so aus, und der Herr Sandner musste ihnen deshalb Papiere besorgen, auf denen sie mindestens zehn Jahre älter waren. Meine Mutter ist Putzen gegangen. Und mein Vater, der hat erst lange nichts gefunden, und dann ist er so eine Art Hilfsarbeiter geworden und hat bei so reichen Typen die Anlagen gepflegt. Und zwischendurch hat er zu trinken angefangen.

Autorin (entgeistert):
Zu trinken?

Bruni zuckt mit den Schultern.
War wohl alles zuviel für ihn. Der Herr Sandner meinte, die hätten einen Kulturschock. Wobei, bei meiner Mutter verstehe ich das ja, die war ja vorher nie in der Stadt, aber bei meinem Vater- von dem hätte ich das nicht gedacht.

Autorin:
Heißt das, auch deine Mutter hatte Schwierigkeiten?

Bruni:
Schwierigkeiten ist gar kein Ausdruck. Wie eine verhuschte Maus hat sie bei Tante Lillian gesessen, ist nur arbeiten gewgangen, wenn Lillian sie hingebracht hatte. Ich glaube, sie hatte richtig Angst vor den Autos.
Und, naja, in die Kirche ist sie auch gegangen. Aber es hat sie sehr gestört, dass die Heilige Messe nicht mehr auf Latein gefeiert wurde. Nicht mal das ist geblieben, hat sie gesagt.
Und dann ist sie nicht mal mehr zur Arbeit gegangen. Eine richtige Depression hat sie gekriegt, hat der Doktor gesagt.
Herr Sandner, der hat dann dafür gesorgt, dass sie in so ein Haus auf dem Land kam, so eine Wohngemeinschaft für psychisch Kranke. Landleben, damit kannte meine Mutter sich aus. Sie hat sich hinter den Bohnen und Erdbeeren verschanzt und versucht, die neue Welt zu vergessen.

Autorin:
Und heute?

Bruni setzt eine mürrische Miene auf.
Heute? Was soll schon sein? Sie ist immer noch da auf dem Land, und bevor ich mit ihr rede, kriege ich von einer Sechsjährigen bessere Antworten. Und mein Vater, der sitzt in einer winzigen Wohnung und lebt von der Mini-Rente, die Herr Sandner irgendwie für ihn geschafft hat, und macht so'n bisschen den Hausmeister.

Autorin:
Und du?

Bruni:
Ich durfte Gott sei Dank bei Tante Lillian bleiben. Ich mach jetzt mein Abitur (sie klingt stolz). Und dann werde ich Bürokauffrau.

Autorin, ungläubig:
Ist das dein Ernst?

Bruni, leicht unsicher:
Na ja, eigentlich will ich - ich weiß nicht. Irgend was, wo ich ins Ausland fahren kann. Ich meine, ich bin doch jetzt hier, und ich kann die Welt sehen, und die Welt ist so groß und schön...

Autorin:
Das passt bedeutend besser zu dir, finde ich.

Bruni, achselzuckend:
Ach, nach dem Abi mache ich erst mal Interrrail. Oder ich trampe. Nach Paris.

Autorin, neugierig:
Zu Marcel?

Bruni (wird rot):
Das geht sie gar nichts an!

Sie dreht sich um und stürmt aus dem Raum.

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